Interview zur Ausstellung in Shenzhen
Die Ausstellung in Shenzhen, China, ist vorbei, die Bilder von Raimer Jochims aber gehen auf Tour. Zwei Jahre lang wird der Galerist Kenna Xu sie in Asien auf Messen, in Museen und Ausstellungen noch präsentieren. Zur Eröffnung der Show in seiner Galerie befragte ihn der Galerist ausführlich zu seiner Arbeit. „Was bedeutet für dich Farben, was bedeutet für dich Formen?“
Eine Bildsprache für die ganze Welt
Du bist jetzt das erste Mal mit einer Ausstellung in China, wie gefällt dir die Ausstellung?
RJ: Es ist sehr beeindruckend, wie stark China auf europäische Kunst reagiert. Ich bin ein Bewunderer der alten chinesischen Kunst und habe in meiner Sammlung mehrere chinesische Werke, Tusch-Malereien. Ich suche in dieser Zeit, wo alle Grenzen offen sind, nach einer Sprache, die der Weltbevölkerung entspricht. In meinen Augen geht es jetzt darum, eine Weltsprache zu finden, die allen Völkern und Traditionen gleichermaßen entspricht. Und das gilt nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft. Und unabhängig von der regionalen Kultur zum Beispiel Europas oder Chinas oder Japans. Es gilt für mich, eine Bildsprache zu finden, die die ganze Welt entsprechen kann.
Ich kenne Ingrid Floss ist schon länger und mit Kenna Xu in Kontakt. Und sie und Jerry haben noch einen dritten Künstler gesucht, den sie in diese Ausstellung mitnehmen wollten, und aus alter Bekanntschaft und Freundschaft haben sie sich dann auf mich besonnen, und ich mache das sehr gerne, weil wir sind jetzt als Europäer Gäste in China.
Besonders bin ich begeistert, in China zu sein, vor allem wegen meiner alten Sympathie für die chinesische Malerei. Ich war ja lange Hochschullehrer in Frankfurt/M. und vorher in München und Karlsruhe und war sehr gerne Hochschullehrer. Ich sagte zu den Freunden in München, ihr müsst den Osten kennenlernen. Ich war der Meinung, jeder Künstler muss heute anknüpfen an etwas, was schon da ist, muss inspiriert werden, muss Einfälle gewinnen aus dieser Tradition. Und ich war der Meinung, wir müssen den Studenten vermitteln, wie sie Anschluss finden können an etwas, was schon da war. Sie sollen nicht nur auf uns Professoren hören, sondern persönliche Bezüge zu einer alten Tradition aufnehmen und sich anregen lassen – etwa so wie Picasso von den Afrikanern angeregt wurde.
Könntest du deinen Begriff und dein Konzept der Farbmalerei erklären, was bedeutet für dich Farbe, was bedeutet für dich Form?
Farbmalerei hat immer mit Farbe und Form zu tun. Meine Frage ist, welche Form wird von der Farbe verlangt. Normalerweise malt der Maler Formen, und die werden koloriert. Und ich wollte die Form der Farbe finden. Die Dynamik der Farbe, ob sie sich ausdehnt oder zusammenzieht, vorkommt oder zurückweicht, und wie sie sich in den Augen verhält. Da lernt man nicht aus. Da wird man gerne alt und folgt immer wieder dieser Frage, wie willst du, Farbe, Form werden?
Wie gehst du in deiner Arbeit vor?
Ich habe eine Vorstellung von dem Bild, eine vorlaufende Vorstellung, die wird realisiert und verändert, ständig verändert. …
Und wie gehst du dann Schritt für Schritt vor?
Ich habe diese innere Bildvorstellung und beginne die Kanten zu brechen. … Und dann wird ständig korrigiert: Ist die Vorstellung richtig, wie ist das Bild im Verhältnis zur Vorstellung? Man kann die Kanten sehr knapp brechen, also schmal oder breiter. Ich muss dem Bild gehorchen, wie ich arbeite. Das heißt, es gibt einen Punkt, wo sie eins werden. …
Was meinst du damit, „wenn sie eins werden“?
Farbe und Form – das ist ein Liebesverhältnis. Und wenn ich den Punkt nicht finde, weiter arbeiten, bis ich ihn finde – gut! Wobei ich ja nicht nachbrechen kann. … Aber das Arbeiten macht mir Vergnügen. Und es ist eine Kraftquelle. Ähnlich wie die Arbeit an meinen Steinen. … Für mich (ich bin ein Kind aus der Kriegszeit in Deutschland) war eins immer ganz wichtig: Wo gewinne ich Kraft und wo verliere ich Kraft? Das war auch bei der Lehrtätigkeit mit den Studenten eine wesentliche Frage: Passt auf, dass ihr eure Kraft nicht verliert. …. Wir haben alle nicht so viel Kraft. Wir brauchen, je älter wir werden, desto mehr Aufmerksamkeit für die Frage: wie gewinne ich Kraft oder wo verliere ich Kraft?
Was meinst du mit „die organische Form der Farbe“?
Farben sind organische Wesen, wir sind körperlich organisch verfasst. Die ganze Welt ist organisch. Ich bin der Überzeugung, dass auch die Erde organisch ist. Ein organisches Großwesen und es gibt die organischen kleineren Wesen, ganz kleine Tiere und so weiter, aber die organische Verfassung der Farbe verlangt von mir eine Weise, die auf Rhythmus und Überraschung gestellt ist. Alle Wesen sind organisch, und der Lebensvollzug ist organischer Art, wir leben organisch, wir sterben quasi organisch; alles hat seine Zeit und beim Malen und Brechen oder Schneiden der Formen geht es darum, diese rhythmische Verfassung zum Ausdruck zu bringen – und zwar: der Rhythmus muss auf die Dauer betrachtbar werden, das ist das Bild.
Möchtest du noch irgendetwas ganz speziell auf ein chinesisches Publikum hin sagen?
Ich liebe. Also ich liebe den chinesischen Lebensstil, die alte Kunst – und nicht so sehr vielen Hochhäuser und vielen Autos. …